11. Reise des MKG-chirurgischen OP-Teams nach Peru

August 2014

  1. 11. Reise des MKG-chirurgischen OP-Teams nach Peru

Es ist wie nun schon so oft - alles ist schon wieder vorüber, unglaublich schnell, ein Feuerwerk an Erlebtem und Eindrücken. In einem Reisebericht das alles komprimiert darzulegen, ist schwer. Was möchte man mitteilen, welches Resümee steht am Schluss Mir hilft es, die vielen Fotos durchzusehen. Schon laufen kleine Filme in meinem Kopf, Gesagtes in Spanisch und Deutsch, die peruanische Geräuschkulisse in den Städten und die unglaubliche Stille in den Bergen.

Um es schon etwas vorweg zu nehmen: Was wir uns vorher erhofft haben, ist eingetreten. Wir haben in der uns zur Verfügung stehenden Zeit viele Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten operiert und betreut, hatten keine gravierenden Zwischenfälle und haben so weit möglich, die Zusammenarbeit mit peruanischen Kollegen weiterentwickelt. Und, nicht ganz unwichtig und immer auch eine Sorge unserer Angehörigen, wir sind gesund und unbeschadet zurückgekehrt.

Wir konzentrieren uns weiterhin auf die beiden Städte Cajamarca und Huaraz. Dennoch denken wir immer noch an La Merced, wo wir 2010 letztmalig operiert haben. Leider haben wir dort nicht die kraftvollen Mitmacher vor Ort, welche wir für eine erfolgreiche Vorbereitung und Durchführung einer Kampagne so dringend brauchen. Aber wir sind noch dran, zumal die Amazonas-Region nur sehr selten von Kampagnen wie der unseren aufgesucht wird. Wir haben einen Jungen, Noe, wiedergefunden, welchen wir 2010 operiert haben. Es war ein Risiko, unterernährt und schwach wie er war. Wir freuen uns sehr, dass er lebt und in einer Familie integriert ist. Gesundheitliche Probleme bedürfen einer Diagnostik und sehr wahrscheinlich einer speziellen Behandlung. In diesem Zusammenhang wollen wir auch wieder den Kontakt mit den Kollegen im Hospital La Merced herstellen. Ich bin gespannt was sich wieder entwickelt.

Cajamarca

Nach Cajamarca ist es ein bisschen wie nach Hause kommen. Die besondere Ausstrahlung dieser alten, hoch in den Anden gelegenen peruanischen Stadt, welche überall Historie, Traditionen und quirliges typisches peruanisches Leben atmet, fasziniert immer wieder. 

Christa Stark de Diaz ist nun schon 70, aber sie hat nichts von ihrem unermüdlichen Tatendrang verloren. Mit ihrer ganz eigenen Art boxt sie sich durch alle oft bürokratischen Hindernisse, um uns den Weg unserer OP-Kampagne zu ebnen. 

Bis kurz vor unserem Kommen stand in Frage, ob wir wieder in dem modernen Hospital Regional operieren können. Das Entgegenkommen auf administrativer Ebene ist manchmal sehr zäh. Klar sind wir eine zusätzliche Belastung für die Kapazitäten im OP und den Stationen, aber auch dieses Mal waren die Ärzte im Streik und die befürchteten Engpässe gab es nicht. Wir hatten alle Möglichkeiten im OP und freie Betten auf den Stationen fanden sich auch. Immer wieder etwas Besonderes ist es, wenn man Patienten /Kinder/Eltern aus vorhergehenden Kampagnen wieder sieht. Sie strahlen und winken uns schon entgegen. Kinder kommen mit kleinen Blumensträußen und manchmal gibt es einen Besito-Küsschen J. Aber es waren auch wieder viele neue kleine Kinder unter den zahlreichen Wartenden. Bis weit in den Abend haben wir angeschaut, erklärt, Lösungen für Problempatienten gesucht und letztendlich einen OP-Plan zusammengestellt, welcher, wie immer, sehr ambitioniert war. Sogar das Fußballspiel Deutschland gegen Portugal geriet dabei in Vergessenheit.

Mit dem Personal im OP-Trakt, Aufwachraum und auf Station brauchte es nur eine sehr kurze „Aufwärmphase“, dann machte die Zusammenarbeit einfach nur noch Spaß. Der peruanische plastische Chirurg Oscar Julcamoro beteiligte sich wieder und operierte gut mit. Seine Entwicklung in dieser sehr speziellen Chirurgie möchten wir weiter unterstützen und haben mit einer finanziellen Unterstützung die Teilnahme an einem Kurs für Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in São Paulo ermöglicht. Von einem Zentrum für diese Patienten in Cajamarca , welches alle nötigen Fachgebiete für die Rehabilitation dieser Patienten vereinigt, sind wir jedoch noch weit entfernt. Wir hoffen sehr, dass dieser Kurs für Oscar ein weiterer Motivationsschub ist.

Huaraz

Ein Meer recht schmuckloser Häuser, meist mit nach oben ragenden Stahlbewehrungen für ein eventuell weiteres Stockwerk, die Straßen und Märkte voller Händler und aus den Bergen kommender Campesinos - ständig hupende Autos - aber auch die majestätische Kulisse der Cordillera Blanca, die höchsten Berge der peruanischen Anden, mit ihren weißen Gipfeln, das ist Huaraz.

Im Hospital angekommen empfängt uns bereits eine Traube wartender Kinder - unsere Patienten - mit ihren Eltern unter einem vor der starken Sonne schützendem Zelt. Ein riesiges Plakat kündet von unserer bereits 4. Kampagne für Patienten mit Lippen Kiefer-Gaumenspalten, zusammen mit dem Rotary-Club „Independencia“. Schnell noch ein Antrittsbesuch beim Hospital-Chef, er hat keine Zeit, macht nichts, wir eigentlich auch nicht, aber ein bisschen irritierend war es schon.

In den nächsten Stunden schauen wir uns über 60 Patienten an. Es ist alles perfekt vorbereitet. Es wurden sogar Nummern vergeben. Ganz wichtig, der Kinderarzt des Hospitals, Jonny, den wir schon von unseren letzten Einsätzen kennen und mit seiner fachlichen Kenntnis und souveränen, ruhigen Art so schätzen, stand uns mit unseren vielen Problemkindern wieder zur Seite.

Ein kurzer Blick am Abend in den OP-Saal war niederschmetternd. Insbesondere ein für unsere kleinen Patienten so wichtiges modernes Narkosegerät musste wieder mal erst erkämpft werden. Zum Glück war Rafael Pais, ein befreundeter peruanischer Anästhesist, zugegen und boxte alles Nötige für uns durch. Das peruanische OP-Personal muss immer wieder erst merken, dass wir anders sind als andere Kampagnen, dass wir zusammenarbeiten  und nicht nur einfach alles benutzen wollen. Schon mit unserem Vornamen auf unseren Namensschildern wollen wir das Ansprechen erleichtern. Spätestens beim gemeinsamen Fußballgucken auf dem OP-Flur in den Überleitungspausen ist jedes Eis geschmolzen. 

Und dann haben wir operiert - jeden Tag den wir den Saal nutzen konnten - bis weit in den Abend hinein. Lippenplastiken, Gaumenverschlüsse, Sekundäroperationen wie Nasenkorrekturen und Restlochverschlüsse. Sven unser Zahntechniker fertigte kleine Prothesen an, mit denen nicht nur fehlende Zähne ersetzt werden, sondern auch Restpalten verschlossen werden können. Auch unser Nachsorgeteam hatte alle Hände voll zu tun. Keine leichte Aufgabe und etwas für starke Nerven. Alle frisch operierten Kinder mit ihren Eltern und oft noch Geschwister müssen betreut werden, dann kommen Patienten zur Nachkontrolle, Mitglieder der Rotarys kommen und wollen helfen, irgendjemand telefoniert mit dem Handy - und das alles in einem Raum!

Zum Abschluss der Kampagne in Huaraz treffen wir uns immer nochmal mit den Rotarys . Unsere peruanischen Freunde halten dann immer sehr emotionale Reden, was uns Deutschen nicht so liegt und für uns auch nicht so ganz wichtig ist. Aber ich weiß, dass auch von mir ein paar Worte erwartet werden. Um auszudrücken, was uns bewegt immer wieder nach Peru zu kommen, habe ich von einer kleinen Begebenheit vor dem OP-Saal erzählt. Ein ca. 10-jähriger Junge, den wir bereits in einer vorausgegangenen Kampagne operiert haben und der jetzt auf seine nächste OP wartete, erblickte mich, als ich nach den frisch operierten Kindern sehen wollte, lächelte mich an und streckte mir seine Hand entgegen. Dieses uneingeschränkte Vertrauen hat mich sehr ergriffen. Ich denke, jeder von uns hatte ähnliche Erlebnisse, die dieses schwer zu beschreibende Gefühl ins uns auslöst und uns immer wieder nach Peru treibt.

Die ganz kleinen Kinder, lassen ihrer Angst vor einer Operation natürlich freien Lauf, sie können noch nicht verstehen was mit ihnen passiert. Aber vielleicht werden sie eines Tages sagen: Was für ein Glück, dass sich Peruaner und Deutsche zusammen getan haben, um dieses Projekt so viele Jahre am Leben zu erhalten. Und auch meine angeborene Gesichtsspalte ist jetzt fast unsichtbar verschlossen.

 

Im Namen des ganzen Teams

Andreas Pöhl

P.S. Cesar Vivar, einer der aktivsten Mitstreiter aus Huaraz ist gerade zu Besuch in Deutschland. Wir haben einmal abends zusammen die Nachrichten gesehen. Wir waren danach beide der Meinung, dass sich an uns eigentlich die ganze Welt ein Beispiel nehmen könnte. Wir bewegen sicher nicht viel, wenn man diese Welt voller Konflikte und Chaos sieht, aber wir machen etwas und für jeden einzelnen unserer Patienten, dem wir helfen konnten, ist es ein weiterer Schritt in ein „normales“ Leben. Dabei es ist bei uns völlig egal welcher Nationalität wir angehören und ob und an welchen Gott wir glauben.